VI. Abschieds-Predigt über Johannis 15, 16. am 2. Sonntage nach Ostern 1775, In der deutsche Petri Kirche zu Kopenhagen gehalten,

VI.

Abschieds-Predigt

über

Johannis 15, 16. am

2. Sonntage nach Ostern 1775.

in der

deutschen Petri Kirche zu Kopenhagen gehalten

von

Friedrich Gabriel Resewitz.

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Gebet. Ist jemals, du Barmherziger und Gnädiger, deine Kraft in mir Schwachen wirksam gemesen, so laß sie es jezt seyn, da ich deiner Unterstützung

so sehr bedarf! das Herz ist weich, die Trennung fällt schwer, Rührungen der Liebe und Wehmuth durchbeben die Seele: ach, gieb du, mein Gott, Muth und Standhaftigkeit, daß mich diese Rührungen nicht übermannen, meinen lezten Vortrag nicht schwächen, und an dieser mir immer werthen Gemeine und an mir selbst nicht sruchtloß machen. Was nützet alles Predigen, wenn es nicht Frucht schafft, wenn es die Frucht nicht schafft, die du, ö Heiliger, an unsern Seelen dadurch bewirken willst? Mit Schüchternheit wage ich mich an die ernste Untersuchung: hat mein Wort auf der Stelle, wvrauf

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du mich bisher gesetzt Hast, Frucht geschafft, die Frucht die du willst, Frucht die da bleibt? Ach segne mich mit der frohen Ueberzengung, daß ich hier nicht vergeblich in deinem Dienst gearbeitet habe; segne alle meine bisherige Zuhörer mit dem erquickenden Bewußtseyn, daß sie Frucht an sich erfahren haben; mache jeden Eindruck, jede Rührung, die dein Wort durch meinen Mund bey ihnen erregt hat, wirksam und bleibend; aus daß wir insgesamt auch in der Entfernung uns der heiligen Verbindung, die du unter uns gestiftet hast, wahrhaftig erfreuen, und nach überstandener kurzen Trennung-den vollen Segen deines Worts in seliger Gemeinschaft genießen, und im Genuß seiner unvergänglichen Früchte vor dir frölich seyn können. Erhöre, du unendlich wohlwollender Gott, um der Liebe willen, die uns durch deinen Sohn ewig gut und selig zu machen beschloßen hat, Amen.

Text.

Joh. 15, 16.

Ihr habt mich nicht erwehlet, sondern ich habe euch erwehlet und gesetzt; daß ihr hingehet, und Frucht bringet, und eure Frucht bleibe. Wundert euch nicht, meine Vielgeliebten, daß ich deise Worte, die Jesus zu seinen auser-

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wehlten und vertrautesten Schülern gesagt hat, auf usre bisherige geistliche Verbindung, und auf das lezte evangelische Geschäft anwende, das ich unter euch zu führen habe. Ich bin sehr weit davon entsernt mir das unbescheiden anzumaßen, das auf mich zu deuten, was Jesus nur für diese seine Freunde und Rüstzeuge zu Ausbreitung seiner heiligen Religion besonders gesagt hatte: es kann sich auch kein Prediger ohne Irthum und Eigendünkel das zueignen, was Jesu erste und außerordentliche Gesandten nach seiner Anweisung und durch seine göttliche Unterstützung ausrichten sollten.

Es ist aber in diesem Ausspruche Jesu ein so wahres und treffendes Gemälde von der wesenllichen Beschaffenheit des evangelischen Lehramts, von dem würdigen Zweck worauf die Arbeiten eines rechtschaffenen Lehrers abzielen, von dem bleibenden Nutzen den sie stiften sollen; daß es mich bey dem stillen und forschenden Nachdenken, welches ich über den Lauf und die Wirkung meines unter euch geführten Amts angestellt Habe, unaussprechlich gerührt hat. Ich habe, dachte ich bey mir selbst, diese Gemeine vor acht Jahren nicht erwehlet, sondern sie hat mich erwehlet; oder vielmehr der Herr seiner Kirche hat ihren Sinn auf mich fernen Fremdling gelenkt, und mich durch sie erwehlt und gesetzt, daß ich seine segenvolle Lehre unter ihnen verkündigen sollte. Nun führet er mich auf sehr unerwarteten Wegen in ein weiteres Feld, weiset mir einen ausgebreitetern Wir-

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kungSkreiß an; und nach vielfachen ernsten Ueberlegungen kann ich nicht anders als glauben, daß es sein Werk sey, Aber was habe ich denn in dem Laufe meines achtjährigen Amts genützet? welche Frucht habe ich geschaft? welche gute und zweckmässige Wirkungen kann ich erwarten? Unter dem Forschen über diese Frage fällt mir dieses Wort Jesu aufs Herz: Ihr habt mich nicht erwehlet, sondern ich habe euch erwehlet und gesetzt; daß ihr hingehet, und Frucht bringet, und eure Frucht bleibe: das macht mir die Beantwortung meiner Frage noch wichtiger.

Was kann auch wohl einem rechtschaffenen Manne wichtiger seyu, als zu wißen, ob und was für Nutzen er gestiftet habe? Unnütz zu seyn, ist die verächtlichste Lage des Menschen; Nutzen zu schaffen, der edelste Ruhm; nützlich gewesen zu seyn, der erfreulichste Trost. Wie viel wichtiger muß es denn einem rechtschaffenen Lehrer der Religion seyn; der den würdigsten Angelegenheiten des Menschen dienen soll, deßen Geschäfte nicht auf Dinge dieses Lebens gehen, sondern auf solche die da bleiben und ewiglich Werth behalten sollen, der seinem großen Oberherrn so ernste Rechenschaft zu geben hat: wie viel wichtiger muß es ihm seyn, die frohe Ueberzeugung zu Haben, daß seine Arbeit nicht vergeblich gewesen sey. Wer darüber gleichgültig seyn, oder gar die Frucht die er bringen soll, durch seine eigene Schuld verderben kann, der muß ein sehr nichtswürdiges Herz haben; wem

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es um diese Frucht redlich zu thun ist, und sie doch nicht finden kann, wie traurig ist sein Schicksal! Ernster und tiefer und gewichtvoller druckt sich die Untersuchung dieser mir so angelegentlichen Frage mit Jesu Worten in mein Herz: Habe ich in der Zeit, da ich unter euch sein Evangelium gelehret habe, Frucht gebracht, Frucht die da bleibt? Ach verstattet es mir, meine Geliebten, die Beantwortung derselben mit euch zu suchen: meine Ruhe, meine Zufriedenheit, der Trost meines noch rückständigen Lebens, die Freude meiner Ewigkeit beruhet auch darauf; daß ich in dieser achtjährigen Amtsführung nicht ganz vergeblich, nicht ohne bleibende Frucht unter euch gearbeitet habe.

Und kann es euch wohl gleichgültig seyn, meine theuresten Freunde, wie diese Untersuchung ausfallen mag? Es ist ja eure Sache so sehr als die meinige, daß sie gut ausfallen möge. Die Frucht meines geführten Amts soll in euch seyn, ihr sollt aus dem achtjährigen Unterricht, Vortheile für eure Seele geerndtet haben; sonst ist überall, — da doch Gott für sey! — die ganze Amtsführung vergeblich. Denn wozu bedürfet ihr Lehrer, wenn sie euch keinen Nutzen schaffen? was soll das unterrichten, ermahnen und trösten, wenn Erkenntniß und Gottseligkeit und Glauben in den Herzen der Hörenden nicht dadurch erweckt und befördert wird? Um acht Jahr seyd ihr der Zeit nach ältere Christen geworden, acht Jahre der Ewigkeit näher gekommen, acht Jahre lang habt ihr Unterweisungen zur Seligkeit nach den

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mir verliehenen Einsichten und Gaben empfangen: um wie viel seyd ihr in der Zeit beßer, frömmer, glaubiger, liebreicher, geheiligter geworden? wie viel Schäße habt ihr für die Ewigkeit gesamlet? wie weit seyd ihr in eurem Christenthum herangewachsen? wie viel gewißer, freudiger, geschickter seyd ihr für euer zukünstiges Heil geworden?

Ihr sehet, die Frage geht auch euch an, nahe und innig geht sie euch an; eure innere frohe Ueberzeugung von der Frucht meines Amts ist mit meiner frohen Ueberzengung genau verbunden. Ihr könnet diese Frucht, wenn sie da ist, fühlen, aus eigenem Bewustseyn wißen; ich kann sie nur muthmaßen und rayhen: freuet ihr euch derselben: nach redlicher Prüfung, so darf ich mich auch freuen; findet ihr aber in eurem Gewißen keine Ursach zur Freude, woher soll ich mich trösten mit einigem Segen meines Amts? Laßet mich deswegen mit eurem Gewißen über diese Frage, die euch und mir von gleicher Wichtigkeit ist, zu Rathe geheu; und prüset mit mir so ernstlich als redlich:

Was für Frucht habt ihr von meinem Amte gehabt?

Damit wir aber in einer Sache, wo uns Eigenliebe und Vorurtheil so leicht verführen können, nicht verführet werden mögen; so laßet uns erst nach dem Sinne Jesu recht untersuchen; welches die

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wahre Frucht sey und seyn solle? dann werden wir es mit Selbstprüfung auf uns anwenden, und auf unsre angelegentliche Frage die richtige Antwort finden können.

Gott gebe, daß sie so ausfalle, wie wir es ins gesamt als Christen wünschen müßen! er segne unsre Untersuchung zur Beruhigung eures und meines GewißeuS, zur Zufriedenheit eures und meines noch rückständigen Lebens, und zu unsrer gemeinsamen Freude vor seinem Thron!

Abhandlung.

Wir wollen uns, gelicbtesten Freunde, nicht dabey aufhalten, daß es Lehrer giebt die durch ihr Amt keine Frucht bringen, weil es ihnen nicht um die Frucht sondern um das Amt allein zu thun ist; daß es Zuhörer giebt, die keinen Rutzen vom evangelischen Lehramte haben, weil sie nicht eigentlich Frucht sondern ganz etwas anders, wohl gar Zeitvertreib, für sich dabey suchen: wir wollen nur das untersuchen, wenn es beyden Theilen ein Ernst ist; welches ist nun die wahre, rechte Frucht die aus dem evangelischen Lehramt entstehn soll? die Lehrer sollen nach dem Ausspruche Jesu und nach dem Beyspiele seiner Apostel bey ihren Zuhörern Frucht bringen und Ruhen schaffen, und zwar solche Frucht die da bleibt: diese Frucht muß in der Seele, im Herzen, in den

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Gesinnungen, im Wandel der Zuhörer zu finden seyn; sie muß nicht, wie die tauben Früchte der Bäume, ansetzen und wieder abfallen, sondern beständig seyn, fortdauern, wachsen und neis werden: dann ist es eine Frucht nach dem Sinne des obersten Lehrers und Bischoffs unsrer Seelen, eine Frucht die da bleibt. Nach dieser ächten Frucht wollen wir aufmerksam forschen, daß wir wißen, worin sie eigentlich bestehe.

Es giebt eine Art der Frucht des Lehramts, die noch ziemlich häufig unter den Christen angetrossen wird. Sie hören ihre Lehrer gern und mit Wohlgefallen, sie sind begierig nach ihrem Vortrage, sie loben und rühmen was sie vortrefliches gehört haden: nach diesen äußerlichen Zeichen sollte man meynen, welche große Eindrücke es auf sie gemacht, wie viel Erleuchtung und Trost und Erbauung sie daraus gesamlet haben müsten. Merket man aber auf ihre Denkunsart, spüret man ihren Gesinnungen nach, öfnet man die Augen über ihr Thun und Laßen; so wird man mit Betrübniß gewahr, daß sie bey allem Loben und Rühmen so blind und voll Irthum bleiben, als sie gewesen sind; daß in ihren Gesinnungen und Neigungen keine Veränderung vor sich geht; daß sie die Gewohnheiten nicht ablegen, den Sünden nicht entsagen, von welchen sie abgezogen werden sollen; daß der Trieb und Eifer für das Gute und für das Himlische nicht an ihnen zu finden ist, der in einem überzeugten und gerührten Christen bewirkt werden sollte.

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Betrieget euch doch nicht, meine Freunder; das Wohlgefallen an dem Unterricht eurer Lehrer, das Loben und Rühmen deßelben macht es allein nicht aus; da ist noch keine wahre, bleibende Frncht, die zu eurer Seligkeit heilsam seyn könnte. Der eine lobt, und weiß nicht einmahl zu sagen, worin das bestehe was er vortrefliches gehört haben will: sein Wohlgefallen war nur am tönenden Erz, nicht an dem was der Sinn und Gehalt deßelben werth war. Der andere scheint zwar ganz entzückt zu seyn: aber nach kurzer Zeit ist alles was ihn gerührt hatte, wieder vergeßen. Der kann sich gar nichts mehr von dem gehörten erinnern; der besinnet sich wohl darauf, aber er saßet es entweder nicht recht, oder denket nicht weiter daran, oder läßt es nicht zum Nachdenken und zur Anwendung auf sich selbst kommen. Der Same fiel auf einen festgetretenen Weg, und die Vögel des Himmels fraßen ihn auf; oder er ging kurze Zeit auf und verdorrete, weil er keine Wurzel gefaßt hatte.

Soll sich ein Lehrer an dieser Frucht begnügen laßen? Wehe dem, der es thut; er hat seinen Lohn dahin. Das Wohlgefallen und das Lob der Zuhörer ist freylich seinen menschlichen Empfindungen angenehm; es kann auch seinen Eifer beleben, seinen Muth ermuntern, und ihn freudiger machen das Geschäft seines Herrn ernstlicher zu treiben. Ein Paulus war ja selbst empfindlich darüber, daß sein Vortrag von einigen Korinthern Herabgesetzt ward;

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und wer einen Vortrag verachtet, bey dem kann er freylich auch keine Frucht schaffen. Aber das Ziel eines rechtschaffenen Lehrers gehet weiter, er sucht eine größere Ehre als die ungewiße Ehre bey Menschen; er will und soll nicht blos gefallen, nicht Lob einerndten; er soll Nutzen stiften an den Seelen seiner Zuhörer, durch seinen Vortrag sollen sie verständiger, gewißer und fester in ihrem Glauben, beßer und frömmer in ihren Gesinnungen, begieriger nach dem was zu ihrer Seligkeit nöthig ist, werden, als sie es vorher gewesen sind. Das ist wahre und ächte Frucht die da bleibt: wenn Lob und Wohlgefallen gleich einem blendenden Dunst lange verflogen ist.

Reeller ist die Frucht schon, wenn durch das Amt des Lehrers wirkliche Rührungen in dem Herzen des Zuhörers erweckt werden. Da fühlt es doch der Zuhörer; er hat was von dem Vortrage seines Lehrers: der Ton seiner Stimme hat nicht blos die Ohren getroffen, sondern seine Gedanken sind ihm ins Herz eingedrungen, und haben da Eindrücke gemacht die er bey sich empfindet, die sein innerstes in Bewegung setzen, und Empfindungen in ihm erzeugen, die er zuvor nicht, oder nicht in gleicher Stärke, gehabt hat. Diese Frucht ist so merklich und unterscheidend, daß viele Christen ihre Bekehrung davon an zu rechnen pflegen: wiewohl sehr unsicher; denn eine Rührung macht die Bekehrung nicht aus, wenn man es sich gleich lebhaft bewußt ist, daß man sie gehabt hat. Sie kann der Anfang zur Bekehrung seyn; aber sie

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ist die Bekehrung, die wahre, völlige Veränderung des Sinnes nicht selbst, welche einen anhaltenden Ernst und eine fortgesetzte Aufmerksamkeit auf das was man ist, und auf das was man seyn soll, erfordert.

So wahr daher diese Frucht auch an sich selbst ist, so kann man sich doch bekriegen, und die Christen betriegen sich auch oft darin, wenn sie ihr mehr Werth beylegen, als sie wirklich hat. Wer sich daran begnügen läßt, daß sein Herz ein oder das andere mal gerührt worden ist, und diese Rührung hat nichts weiter Hervorgebracht, keinen Vorsatz, keinen Entschluß, kein Bestreben erzeugt, ihr gemäß zu denken und zu handeln; der hat noch nicht die rechte Frucht aus dem Evangelio Jesu, nicht die Frucht, die da bleibt. Denn Rührungen können ihrer Natur nach nicht lange fortdauern, sie vergehn wieder, die Bewegung des Herzens hört auf, und der Mensch ist wieder, wie er gewesen war, höchstens behält er noch das Andenken von der Rührung die er gehabt hat. Das sehen wir Lehrer ja an so vielen Beyspielen täglich vor Augen. Wie oft werden wir es gewahr, daß Christen bey seyerlichen Andachten, oder auf dem Krankenbette, oder vor dem Genuß heiligen Abendmals, mit inniger Rührung erscheinen: ihr ganzes Herz ist weich, ihr Eifer ist brünstig, ihr Gelübde feurig, ihre Thränen fließen wie Bäche. Nun, nun, denken wir, wird dieser seiner Ungerechtigkeit entsagen; nun wird dieser inniger auf Gott vertrauen lernen; nun wird dieser abgelebte nicht mehr so am

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14 Abschieds-Predigt irdischen hängen; nun wird Gottlob! dieses wollüstige Geschöpf die Schande der Wollust meiden. Aber wir sehen leider! beynahe eben so oft; daß so wie die Thränen vertrocknen, und das erwärmte Herz wieder kalt wird, auch der Eifer erkaltet, das Gelübde vergetzen ist, und es mit solchen Menschen wieder ist, wie es gewesen war.

Ach, meine Freunde, verlaßet euch doch nicht, auf eure gehabte Rührungen, wenn sie weiter keine Frucht bey euch gebracht haben. Es ist nur allzugewöhnlich, daß die Christen mit solchen kurzen, vorübergehenden Erschütterungen zufrieden sind, und nun meynen, was für gute Christen sie sind, was für herrliche Frucht sie vom Worte Gottes gehabt haben. Aber es ist Betrug, und desto gefährlicherer Betrug, weil etwas wahres daran ist, dadurch man sich leicht, zur Sicherheit verleiten läßt. Frucht ist da gewesen, das ist wahr; aber nun ist nicht mehr Frucht da, sie ist unreif abgefallen und vergangen: es war keine Frucht die da bleibt, die einzige die uns wahrhaftig, zum Nutzen und Segen gereichen kann. So schätzbar mir also gleich der Anblick einer solchen erweckten Rührung gewesen ist; so habe ich doch mehr begehrt, und habe mich, so gut ich sehen konnte, nach den fortshaurenden Wirkungen umgesehen, die aus ihr entstehen sollten.

Nicht wahr, meine Geliebtesten, es ist euch nicht genung an euren Kindern, wenn sie zuweilen

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tot) euren Ermahnungen ein weiches Herz haben und Thränen vergießen, wenn sie euch in gewißen Anfällen kindlicher Liebe zärtlich umfaßen, wenn sie euch in rührenden Gelegenheiten ihrer Treue versichern: ihr wollet auch sehen, daß diese Liebe wirklich aus ihrem Sinn und Betragen hervorleuchte; ihr wollet auch fernerhin die Willigkeit an ihnen wahrnehmen sich nach eurem Sinne zu richten; ihr wollet die Freude haben es an ihrer Aufführung zu merken, daß ihr Sinn sich auf das richte was euch lieb ist, daß ihr weiches. Herz sie zu den Entschließungen vermöge, die ihr durch eure Ermahnungell rege machen wolltet, daß ihre Liebe zu euch in ihre Denkungsart einsiieße, ihre Gesinnungen lenke, und Kraft und Einfluß in ihrem Verhalten offenbare. Seht, das ist Frucht die da bleibt; Frucht wie sie unser Hert und Heyland auch Den uns will, die er durch das Amt der Lehrer zu schaffen sucht; Frucht die ich auch von meinem unter euch geführten Amte wünsche, und die allein eurer unsterblichen Seele wahrhaftiger Segen ist.

Diese Frucht mäßen wir noch etwas näher betrachten. Rührungen aus dem gehörten oder gelese«en Worte Gottes machen den Anfang; das heißt, der Gedanke den wir daraus faßen, trist unser Herz, und regt solche Empfindungen darin an, die entweder Freude oder Betrübniß, Reue oder Zufriedenheit, Ab» scheu oder Wohlgefallen, Liebe oder Unwillen in uns veranlaßen, je nachdem der Gedanke beschaffen gewesen ist, der unser Herz getroffen hat. Aber dabey

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muß es nicht bleiben: sondern diese innere Regungen müßen durch Nachdenken und Selbstprüfung wieder ihre Wirkung bey uns thnn, und uns zu der Entschließung bringen, das auch zu ergreifen wozu wir Liebe gefaßt haben, bas auch festzuhalten was unser Wohlgefallen erregt hat, das auch von uns hinwegzuthun was wir als verabscheuungswürdig erkennen, dem auch nachzutrachten was uns Freude und Zufriedenheit gewährt u. s. w. Diese Entschließungen müßen oft in uns erneuert, durch jede neuempfundene Rührung verstärkt werden; bis sie solche Kraft bey uns gewinnen, daß sie gleichsam unserm Denken und Wollen einverleibt werden, und wir einen solchen Sinn bekommen, der bey jeder vorkommenden Gelegenheit dahin gerichtet ist, wohin er nach dem Sinn des göttlichen Worts gerichtet seyn soll; und bis eine vielfältige Erfahrung es uns ganz ausgemacht und fühlbar gemacht hat: ja es ist immer wahr; die Freude habe ich, die Zufriedenheit finde ich, die Vortheile erhalte ich, das Glück wird mir, der Werth und die Vollkommenheit wird mir in der Thal zu Theile, so wie Gottes Wort es mir gesagt hat.

Diese Frucht reifet langsam, aber sie wüchset fort und bleibt immerwährend; sie bringt immer wieder neue und vollkomnere Früchte hervor, und verbreitet ihre segenvolle Befruchtung in sichtbaren und würdigen Folgen über das ganze Herz und über den ganzen Wandel. Dann wird der Mensch unter der Leitung des Geistes, der nur in solchen Herzen wirk-

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sam ftyn kann, immer verständiger und weiftr über seine Bestimmung und sein wahres Heil; dann reiniget er sich immer mehr von den Werken und Lüsten des Fleisches, welche wider die Vollkommenheit seiner Seele streiten; daun entsagt ex mit Ernst der Ungerechtigkeit und jaget der Gerechtigkeit nach; dann wird er brünstiger in seiner Liebe zu Gott und zu Christo, herzlicher und kindlicher in seinem Vertrauen, eifriger nach seinem Wohlgefallen, begieriger zu ihm zu kommen und sich ewig sein zu streuen, als er es vorher gewesen war.

Dieß ist die wahre Frucht, die sich zeigt, die da bleibt und sich vermehrt; dieß ist die Frucht, die ich nach meiner Schwachheit unter euch habe bringen wollen, die ich unter euch gebracht zu haben sehnlich wünsche, die allein rechten Werth für euch hat, die der beste Segen des evangelischen Lehramts ist, und die ich gern zu eurer und meiner daurenden Freude mit euch in Gemeinschaft aussuchen möchte. Seyd ihe in dem Laufe meines achtjährigen Amts weiser und verständiger für euer Heil, unwilliger gegen das Böse, gelehriger und geneigter zum Guten, brünstiger zu Gott, dankbarer gegen euren Heyland., strebsamer und begieriger nach der großen Seligkeit geworden, welche ich euch in seinem Namen verkündiget Habei das ist die für euch und mich so wichtige Frage, die wir untersuchen wollen.

Schüchtern und bedachtsam gehe ich an diese ernste Untersuchung! ich sehe Klippen vor mir, die

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ich gern, sehr gern vermeiden möchte. Ich möchte um alles willen auch nicht einmal den Schein haben, als hätte ich Anmaßungen, die mir nicht gebührten; ich möchte so gern auch den Schein eines Vorwurfs vermeiden, da er meiner Denkungsart und meiner Liebe zu euch ganz entgegen seyn würde. Doch liegt uns an beyden Theilen viel daran, daß diese Untersuchung geschehe. Im Namen Gottes, der mein Herz kennet, geschehe sie also.

Ich kenne keine herzlichere Freude und keine größere Aufmunterung für einen rechtschaffenen Lehrer, als wenn er Frucht sieht von seinem Amte, wenn er erfahrt, daß seine Arbeit nicht vergeblich sey. Erzeugte Rührungen, diese erste Frucht, sind ihm zwar angenehm; aber er weiß, wie wenig man darauf rechnen kann, wie bald sie oft verschwinden. Ersucht nach Frucht, die da bleibt; er will gern solche Früchte sehen, die sich durch eine fortdaurende Heiligung des Sinnes und des Wandels offenbaren: diese sind aber theils selten, theils auch schwer zu entdecken, weil sie nur unmerklich zum Vorschein kommen und langsamreifen. Da muß er sorgfältig Acht haben ausdie Denkungsart und auf den Wandel seiner Zuhörer, ob er ctwaeme gute und heilsame Veränderung darin gewahr werden könne; da muß er gleichsam in ihr innerstes mit scharfem Blick einzudringen suchen, und die unmerklichen Züge samlen, durch welche ihre Gesinnungen hindurch scheinen: und daraus soll er errachen, welche Grundsätze ihnen wichtig sind, durch

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was für Triebe und Neigungen sie sich leiten laßen, zu welcher Denkens- und Sinnesart sie gekommen sind: um aus dem allen den Schluß zu machen; ob sie vorwärts oder rückwärts gegangen sind, ob er Frucht geschafft Hab? oder nicht?

Und was ist der Erfolg feines sorgsamen Forschenü? Einige hat er gar nicht Gelegenheit so nahe kennen zu lernen; andere siehet er in demselben Sinn fortwandeln, in welchem sie immer gewandelt haben? bey vielen bemerkt er Rührungen und angeregte Empfindungen, aber weiter keine wahre und bleibende Frucht; und wenn er lange geforscht hat, erblickt ec hie oder da Züge der Rechtschaffenheit, des christlichen Eifers und der Gottesergebcnheit, die sein Her; mit Hoftmng erfüllen, daß er nicht ganz umsonst gearbeitet habe. Aber nicht selten begegnet es ihm auch, daß diese tröstende Hofyung wieder verlischt; wenn da wo er Gutes erblickt zu haben glaubte, der uuverwahrte Zuhörer Spuren seiner alten verborgenen Sünden verräth: nicht selten wird er da, wo er Glauben und Vertrauen vermuthet hatte, noch die vorige miötrauische Zweifelmüthigkeit gewahr, wenn es zur Probe kömmt: nicht feiten beweiset sich der, der überzeugt und edel und rechtgesinnt gedacht, gesprochen und Früchte gezeigt hatte, ganz anders in seinem wirklichen Thun und Handeln.

So belohnend also auch die Freude eines rechtschaffenen Lehrers ist, wenn er Früchte seines Amts

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gewahr wird; so schwer ist es ihm doch,

Forschen dazu zu gelangen, so mühsam und ängstlich muß er sie oft suchen, so Unsicher ist sie, wenn erste gefunden zu haben meynt. Er muß mehr glauben, als er schauen kann; mehr muthmassen, als er Gewißheit haben kann; mehr hoffen, als er wirklich nach den sorgfältigsten Beobachtungen gewahr werden kann. Und es würde in der Thal schlecht mit dem Christenthum beschaffen styn, wenn nicht mehr Früchte des evangelischen Lehramts vorhanden wären, als ein Lehrer mit seinen menschlichen Augen erblicket. Allein sie verbreiten sich unsichtbar, reifen langsam, und wachsen unvermerkt fort, ohne daß menschlicher Scharfsinn sie ausfpüren, der Geist des Menschen sie in ihren verschiedenen Verwickelungen faßen, und es bestimmen könnte: da ist auch eine Frucht; so weit ist sie gediehen, so viel neuen Samen hat sie erzeuget, zu diesem Punkt der Reife ist sie gekommen! Nur Gott weiß das und siehct das, seinem Blick entgeht auch nicht die geringste Spur, und die größte und kleinste Wirkung seines verkündigten Worts liegt gleich hell vor seinen alles durchdringenden Augen. Auf Gottes Augen muß sich der nach Frucht forschende Lehrer mehr verlaßen, als auf seine eigene. Wo er nur Frucht muthmaßt, da sicher sie Gott; wo er im Zweifel ist, da hat Gott Gewißheit; wo er hange und zaghaft wird daß sein Eifer fruchtlos gewesen sey, da überschauet Gott die ganze Reihe frommer Wirkungen, welche erfolget find und noch ferner erfolgen werden: und das ist der beste, der sicherste Trost,

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den ein treuer Lehrer bey dem Forschen nach der Frucht seines Amts haben kann.

Aber ihr Zuhörer könnet euch viel sicherer Überzügen, ob und was für Frucht euer Lehrer bey euch geschafft habe, als er selbst es vermag. Er kann nicht m euer Herz schauen; ihr habt es aber vor euch, und könnet prüfen wie es beschaffen sey: ev kennet euren vorhergehenden Wandel nicht; aber ihr wißet es aus eignem Bewußtfeyn, welche Wege ihr gegangen schdr er weiß nicht, wenn und auf welcher empfindliche Seite ihr gerührt worden seyd; ihr aber könnet bas Andenken deßelben wieder zurückrufen: er ist bor eurem geheimen Thun nicht gegenwärtig; ihr aber seyd euch immer nahe, und kennet euch eure Thaten, und die Antriebe derselben, Und die Absichten worauf sie gehen, nicht verhehlen. Ihr habt also das wichtigsie bey dieser Untersuchung zu thi, ohne euch, ohne euer prüfendes Selbsturtheil kann die Frage gar nicht entschieden werden.

Leget eurem Gewißen also die Frage vor: was für Frucht, welche bleibende Frucht ihr von dem Amte eures bisherigen Lehrers gehabt habet? ihm es um eurer selbst, thut es um eures von euch scheidenden Freundes willen. Befraget euch aufrichtig; ob ihr durch das Wort, welches Gott durch den Mund eures Lehrers an euch hat gelangen laßen, den Werth feiner grossen Liebe zu euch beßer habt kennen und schätzen lernen? ob ihr dankbarer gegen seinen Sohn, ge-

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lehriger gegen feinen Willen, eifriger zum Guten, uns williger gegen bas Böse geworden seyd? ob euch in Der Zeit der Himmel lieber geworden sey, als die Erde; die Seligkeit werther, als die Vortheile und Freuden der Sünde? Schauet zurück auf eure vorige Gesinnungen, vergleichet sie mit euren gegenwärtigen, und forschet ob ihr Aenderungen darin gewahr werdet, die eurem Gewißen Wohlgefallen, Sonst war ich ungläubig und zaghaft bey dem geringsten Unfall der wir begegnete: bin ich denn nun in gleichen Umständen ruhiger und hofnungsvoller auf Gort? Sonst erlaubte ich mir Abweichungen von Gottes Gefeh; bin åd denn nun zärtlicher in meinem Gewißen geworden? Sonst fühlte ich nicht so den Werth der Verheißungen Gottes in Christo, als ich ihn jezt zu fühlen glaube: sonst war ich träge zu dem Guten, das mir jezt wohlgefällt: es kostete mir sonst mehr Mühe meinen Feinden zu vergeben, als jezt: mein störriger, unfreundlicher Sinn ist nicht mehr so störrig und unfreundlich: das Wohl meines Nächsten.liegt mir jezt näher am Herzen; sein Unglück rührt mich inniger zum Mitleiden; feine Seele ist mir jezt theurer, denn ich habe es: vor Augen, daß Christus, mein Erlöser, auch sse erlöst: hat.

Das, das, meine theuresten Freunde, sind die Fragen die ihr euch vorlegen, dis Prüfungen welche ihr in euxem innersten nnternehtnen mäßet, wenn ihr von dem vorgetragenen Worte Gottes Frucht bey euch suchen wollet. Wohl euch, und Wohl mir!

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wenn euch euer Gcwißen zur Antwort giebt, daß wirklich Frucht da sey! Dann habt ihr die Freude, überzeugt zu seyn, daß ihr zu dem Reiche Goms, das euch immer naher kömmt, auch tüchtiger und geschickter geworden seyd: und ich darf die Freude haben, daß mein Amt unter euch einen Segen gestiftet habe, der da bleiben und sich vermehren und fortpflan» zen wird, wenn ich dem Angesicht nach nicht mehr bey euch gegenwärtig styn werde. Dann würde mein Andenken in eure Herzen geschrieben seyn, und in eurem Gewißen ein fühlbares Zeugniß für mich wohnen, daß ich in dem Dienste meines und eures Herrn Vicht vergeblich gearbeitet habe.

Beschluß.

Ach, dieser Früchte möchte ich gern viele unter euch gebracht haben! der, der das Herz kennet, der weiß es, daß meines Herzens Wunsch und mein Bestreben auf solche Früchte gerichtet gewesen: so viet es meine Gaben und Einsichten nur verstalteten, ist mein Nachdenken dahin geschäftig gewesen, euch Wahrheit, nützliche Wahrheit für eure unsterbliche Seelen zu verkündigen, und euch zu ermuntern, mit Ernst alles das zu ergreifen, was wahrhaftig, was erbar, was gerecht, was keusch und lieblich ist, was wohllautet, was euch wirklich und wesentlich geschickt machen kann, hierund dort der Gnade Gottes in Christo Jesu theilhastig zu werden. Zwar habe ich dabey

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Abschieds-Predigt zuweilen gefürchtet, ob ich nicht fruchtlos arbeitete; ich bin auch nicht wenig niedergeschlagen und muthlvr geworden, wenn ich weder Eindruk noch Rührung, vielweniger bleibende Frucht zu sehen glaubte. So wie mich dieß betrübte, so heiterte sich zu anderer Zeit mein Gemüth wieder auf; wenn ich unerwartet da Frucht erblickte, wo ich keine vermmhete; wenn ich gute und heilsame Eindrücke von dem Amte wahrzunehmen glaubte, das ich unter euch führete r besonders habe ich in der leztern Zeit meines Hiersens Spuren und Versicherungen davon ang etroske itz die mich sehr erfreuet, über meine Wegberufung eine Zeitlang unschlüßig erhalten haben, und mir nun mein Scheiden von euch erschweren.

Aber das alles, was ich sehen, merken und errathen kann, ist mir nicht genung, und kann mir nicht gMuigseyn; wenn nicht cuer Gkwißm sein untrüglicheres Zeuguiß hinzuthut, daß ihr wirklich auch Frucht in euch empfunden habet, und noch erfahret. Um dieses euer inneres Zeugniß ist cs mir gar sehr zu thun: denn ob ich gleich nicht wißen upd erfahren kann, was es in euch bezeuget; so bin ich doch gewiß, daß es mir aufgehoben wird für jenen Tag, für den Tag eurer und meiner Rechenschaft von dem was ihr gehöret, und ich euch verkündiget habe; so darf ich doch Hoffen: wer wirklich Frucht empfunden hat, der wird auch darüber wachen daß ex sie nicht wieder verliere; bey dem wird sie durch Gottes Gnade auch bleiben, und sich vermehren, und au ihm selbst und andern in

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neuen Früchten vervielfältigen. Denn was ins Herz gegangen ift, was der Mensch durch sein eigenes Bewußtseyn an sich erfahren hat, das verschwindet nicht wieder, wird nicht wieder gänzlich bey ihm vertilgt: und wenn Formeln und Redensarten und Methode» einander vertreiben, je nachdem sie mehr oder weniger dem Ohr gefallen, mehr oder weniger die Sinne und Phantafey in Bewegung sehen; so kann das nicht vertrieben werden, was ins Herz gegriffen, und dem Gewißcn sich fühlbar gemacht hat.

Ist solche Frucht da, so werdet ihr euch selbst darob freuen, und es fühlen, was für Nutzen sie beh euch geschafft habe; so werdet ihr nicht ohne Wohlwollen meiner gedenken; und was das wichtigste ist: es wird euch selbst daran gelegen seyn, daß die bey euch angeregten Empfindungen nicht allein bleiben, sondern auch immer lebendiger und wirksamer werden, immer mehr Kraft auf eure Gesinnungen und auf euren Wandel gewinnen. Denn der Christ soll nicht stille stehen, sein geistliches Leben soll ein fortschreitendes Leben zur Ewigkeit seyn. Ist ihm ein Licht aufgegangen, so soll eres so gebrauchen daß seine Erkenntnis von dem was für seine Seele wichtig ist, immer heller werde: hat er eine Ueberzeugung erhalten, so soll er ihr getreu bleiben, und immer gewißere Schritte thun: ist sein Herz für irgend eine Tugend fühlbar geworden, so soll er auch diese köstliche Empfindung bewahren und nähren, und die Gelegenheiten sich darin zu üben, immer brünstiger er-

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Abschieds-Predigt

greifen: ist der Trieb Mn himmlischen und ewigen bey ihm ausgewacht, so soll er sich auch durch ihn regieren laßen, und durch Fleiß und Nachdenken immer mehr Geschmack an dem was ewig damet gewinnen, immer inniger darnach streben, daß es auch sein ewiges Eigenthum werde und bleibe. Dann ist und wird es eine wahrhaftigbleibende, unvergängliche Frucht; die euer Ruhm und euer Glück ist, die dem Wohlgefallen Gottes, und der liebevollen Absicht unsers gemeinschaftlichen Herrn vollkommen gemäß ist.

Der Gott aller Barmherzigkeit und Gnade schaske und bewahre dergleichen Früchte in euch allen, so lange er einem jeden noch zur Vorbereitung auf die Ewigkeit bestimmt hat. Wo sich bisher noch keine Frucht geäußert hat; da treske er selbst noch heute das erstorbene Herz, daß es sich; öfne, und den Samen seines Worts willig annehme: wo das Gewißen sich fruchtbarer Eindrücke bewußt ist, da segne er es mit Ruhe und Freude, und rege die Begierde an, bleibende Früchte stets zu erfahren: wo Früchte schon in frölicher Blüte da stehn; da bringe er selbst sie zur seligsten Reife: und schaske an und in euch allen, und an euren Kindern, die mit euch zu seinem unvergänglichen Heil berufen sind, das was frommet, was Lob bey ihm hat, was euer Gewißen beseligen, und euch seines ewigen Wohlwollens werth machen kann. Dazu laße er die Treue und den Eifer meines bisherigen geliebten Amtögenoßen lange, lange unter euch fruchtbar styn; und gebe ihm die Freude viel Früch-

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fe deßelbén an und in euch zu erfahren. Dazu rüste er selbst den Mann aus, der euch nach eurer eigenen Wahl an meiner Statt das Evangelium verkündigen soll; daß er wahre, bleibende Frucht unter euch schaffe, und sich mit euch eures Fortgangs im Glauben, in der Liebe und in der Gottseligkeit wahrhaftig freuen könne.

Das ist mein herzlichster Wunsch für euch alle, mein innigstes Gebet, das ich für euch jezt zu Gott thue, und lebenslang thun werde. Denn ob ich gleich jezt von euch scheide, so Verläße ich euch doch nicht aus Mangel der Liebe, noch weniger, daß mir das Amt, das ich unter euch geführt habe, nicht werth seyn sollte. Vernunft und Gehorsam gegen die immer gütig erfahrne Vorsehung Gottes legen Gründe von solchem Gewicht auf mein Herz, baß ich mich nicht weigern kann dem Rufe zu folgen, der mich unerwartet und sonderbar getroffen hat. Aber mein Herz wird dennoch bey euch seyn; meine Liebe und Dankbarkeit wird euch immerdar angehören. Ich habe viel Liebe unter euch erfahren; ihr habt mir Beweise eures Vertrauens und eurer Zuneigung gegeben, die mir um desto schätzbarer sind- weil sie ans dem Herzenzufließen schienen; die Achtung die ich bey euch gefunden habe, und für welche ich so empfindlich bin, muß und wird mir unvergeßlich seyn? ach, und wie tief und warm wird die Werthschäßung derjenigen in meiner Seele wohnen; in deren edles und wohlgeartetes Herz ich genauer Habe schauen können, die mich

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Abschieds-Predigt

ihr er Freundschaft gemürdiger haben, und die ich selbst Mit inniger Liebe umfaße. Schwer und wehmuthsvoll reißt sich meine Seele von euch los: die Bande', die uns verknüpften, werden alle aufgekößt; die genaue Gemeinschaft, darin wir standen, wird ganz ausgehoben; die leibliche und sichtbare Trennung ist für immer: was für Trost kann da der wahren Liebe übrig bleiben? Ach nur der! wie wir hier den Weg zur Ewigkeit zusammen gegangen sind, daß wir dort auch alle einst Zusammentressen! der Blick dorthin macht die Trennung kurz, und den Trost sehr groß. Da, da wünsche ich alle wieder zu sehen, die ich hier belehret, die ich hier geliebet habe; da wollte ich mich gern mit allen denen vor Gott freuen, welche ich hier zu Gott habe führen wollen; da verlangt meine ganze'Seele mit allen denen ewig vereinigt zu seyn, von welchen ich mich jezt scheiden muß. Drum wünsche ich so sehnlich Frucht die da bleibt; drum ermahne ich euch so herzlich, die Frucht des göttlichen Worts Heilig zubewahren; drum bitte ich Gott so innig, und werde allezeit zu ihm beten, daß er euch fruchtbar mache zu allem guten Werk zu thun seinen Willen; auf daß die lezke, beste und seligste Frucht auch über euch komme, und bey euch bleibe, und ihr, und ich, und Me Lehrer im Genuß derselbeu sich ewig freuen und frolich seyn können.

Bis zu diesem glückseligen Zeitpunkt segne Gott eure irdische Tage mit Zufriedenheit und Vertrauen; eure Geschäfte mit gemeinnützigen Erfolg; euren Verstand mit Erleuchtung die euch

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weift mache zu eurem Heil; eure Herzen mit dem belohnenden Gefühl der Gottesfurcht und Tugend; kure Kinderzucht mit Wohlgefallen beh ihm und bey Menschen! Er segne jedes Wort das ihr höret mit fruchtbarem Erfolg zur Heiligung und Seligkeit eurer Seelen: er leite und bewahre und erhalte euch selbst auf dem Wege des Friedens: und segne einst euren Ausgang aus der Welt mit der Ruhe eines guten Gewißens, und mit der Heiterkeit einer gläubigen Hofnung; euren Eingang in die Ewigkeit mit Freude, und mit dem vollen Maaße seiner unendlichen Liebe in Christo Jesu.

Thue du, über alle unsre Faßung Barmherziger und Gnädiger, mehr an ihnen, als ich bitten und wünschen kann. Schütte deine reiche Segnungen über sie alle und über das Land aus; in welchem ich als Fremdling wohl ausgenommen worden, und unter Prüfungen, deren Erfolg mit heilsam gewesen, viel Gutes erfahren habe. Laß es unter der Regierung feines Königs, deines Städrhalteks, durch weift lind patriotische Rathschläge zu der Glückseligkeit emporstcigen, daß alle, welche dem dänischen Scepter gehorchen, seine Wohlthätigkeit preisen: segne Ihn selbst mit langem Leben, mit Heilsamen Erfolg aller aus das gemeine Wohl gerichteter Absichten, und mit der wahrhaftig königlichen Freude, das Beste fo vieler tausenden durch seine Hand befördern zu kön-

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Abschieds-Predigt

nen. Schaue mit Augen des Wohlwollens herab auf die königliche Mutter, laß Ihr die Gnade wiederfahren, eine fröliche Zeugin der innern Glückseligkeit des königlichen Hauses lange zu bleiben, viel mütterliche Freuden zu genießen, und im Genuß der Liebe und des Vertrauens aller

derer, die ihrem Herzen werth sind, ununterbrochen beglückt zu seyn. Segne die Erziehung des Kronprinzen, daß er einst ein König sey nach

deinem Herzen, werth vor dir ein großes Volk

zu regieren, werth der innigen Verehrung aller die ihm gehorchen, werth des ganzen, vollen Gefühls eines Königs, rund um sich her über unzählige Geschlechter Wohlstand und Freude verbreiten zu können. Sey stets mit dem Erbprinzen und feiner Ihm theuren Gemahlin: lenke

durch deine Weisheit feine menschenfreundliche Gesinnungen auf die fruchtbarste und gemeinnützigste Unternehmungen, und kröne seine edlen und grosmüthigen Absichten mit dem besten Erfolg; laß feine zärtliche Verbindung zur Freude seines Herzens, zum Ruhm seines Hauses und zur Wohlfart des Landes gedeyen und dauern. Laß die gottselige Körligstochter, die dir von Herzen ergeben ist, noch lange das Muster der Frommen, die Freude der Minen, die Verehrung der Besten im Lande seyn: bis du sie segnest mit dem vollen Segen, den du ihrer durch deine Gnade vollendeten Seele bestimmt hast. Segne das ganze königliche Hauß; dein Schutz und deine vor-

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zügliche Gnade, die du bisher an demselben sichtbar gezeiget hast, bleibe herrlich und sichtbar über demselben bis auf die spätesten Geschlechter!

Gieb treue, verständige Rathe, welche des Landes wahre Wohlfart vor Augen haben, und die segnende Verehrung eines beglückten Volks werther, als alles übrige, schätzen. Erhalte dem Lande den so lange genoßenen köstlichen Frieden; gieb Gedeyen zu allen gemeinnützigen Unternehmungen; laß Gerechtigkeit und Rechtschaffenheit im Lande jederzeit wohnen; laß Ackerbau, Schisfart und Handlung und jede nützliche Kunst unter deiner schützenden und segnenden Hand wach« sen und blühen. Wache, o bester der Väter, Hs ber. die Erziehung des künftigen Geschlechts, und heilige sie; in ihr hat ja deine Weisheit die einzige, sichere Quelle zur daurenden Wohlfart der Familien, und zur allgemeinen Glückseligkeit eröfnet. Laß wahrer Christen viel im Lande seyn, und vermehre ihre Anzahl, und den Segen der sie begleitet, durch gewißenhaste, einsichtsvolle und eifrige Arbeiter in deinem Weinberge.

Laß deine Gnade walten über den verehrungswürdigen Greiß, der seine lezten Kräfte dem Vaterlande weihet, und der wohldenkende Beschützer dieser Gemeine ist; und erfülle ihn mir der süßen Freude, welche für edle Herzen so belohnend ist, zum Besten Vieler wirksam gewesen

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Absch. Pred. am 2. Sonnt, nach Qstern.

zu styn. Vergilt den würdigen Männern, welche das Wohl dieser Kirche besorgen, ihre treue und uneigennützige Bemühungen in reichem Maaß; und laß dafür auf sie und die Ihrigen einen zwiefachen Segen ruhen. Segne mit dem Segen, womit du deine Freunde segnest, alle Glieder dieser Gemeine; seh jedem in seinem Anliegen mit deiner Gnade gegenwärtig; laß jeden es innig erfahren, baß du ihm zeitlich und ewiglich wohl willst; vergilt ihnen, als Gott, ihre mir erwiesene Liebe; erhalte mein Andenken beh ihnen in Segen, und mein Gebet für sie finde vor dir stets Erhörung. Erhalte und bewahre unter ihnen die Frucht deines feligmachenden Wortes; laß sie immer mehr wachsen und blühen und reif werden durch deine Gnadenkraft; damit Trost, und Seelenruhe, und Vertrauen auf dich, und fromme, menschenfreundliche Empfindungen, und frohes, fecliges Hoffen auf dein großes Heil sich durch alle und in allen verbreite. Segne sie, Gott, unser Gott; segne sie, bester unter den Menschenkindern, mit dem ganzen, ewigen Reichthum deiner Liebe; segne sie, Geist des Allmächtigen, mit dein vollen Genuß deiner allesumfaßenden Güte: und laß ihnen alles zu deiner, und ihrer, und meiner Freude, hier in der Zeit, und dort in der Ewigkeit, wohl und selig feyn.