Ein original
Brief
an den
Grafen
I. F. Smensee
von
seinem Vater.
Kopenhagen, 1772.
Gedruckt und zu kauf bey A F. Stein, roohnhaft in der Schiedenstrasse in No. 171.
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Mein zweyter Sohn!
Ist es möglich, so wünsche, daß diese Zeilen dir eingehändiget und von dir gelesen auch beherziget werden. Die Traurigkeit, Wehmuth und Beklemmung deiner Eltern über ihre Söhne, vermag ich nicht auszudrücken. Unsere Augen thränen Tag und Nacht. Unsere Seelen schreyen um Erbarmung zu Gott ohne Aushören. Doch ich will hievon schweigen. Nur eine Sache liegt mir und deiner bekümmerten Mutter auf dem Herzen. Du kennest unsere Gesinnung. Du weißt was für einen Zweck wir den deiner Erziehung gehabt haben. Er ist dir erinnerlich wie oft, wie nachdrücklich dir diese Wahrheit eingeschärst ist, daß die ungeheuchelte Gottseligkeit zu allen Dingen nütze sey, So
4oft ich mit dir, da du schon im Amte stundest, zu reden Gelegenheit gehabt, habe ich dich aus den allgegenwärtigen Gott gewiesen, und zur sorgfältigen Bewahrung eines guten Gewissens vermahnet. Dein Herz wird es dir sagen, ob und in wie ferne du meinen väterlichen Vermahnungen nachgekommen bist. Schon seit geraumer Zeit Haben deine Eltern vielen Kummer deinentwegen empfunden. Da wir in der Stille leben, und wenige Bekannte haben, du uns auch von deinen Umständen nichts gemeldet hast; so sind unsre Seufzer für dich im Verborgenen mit beklemmten Herzen zu Gott hinauf gestiegen, und wir haben bekümmert zu ihm gerufen, daß doch deine Seele nicht verloren gehen möchte. Drey mahl, nemlich in Halle, Gedern und Altona, bist du in den Augen derer, die um dein Krankenbette gestanden, bereits todt gewesen. Gott hat dich errettet und beym Leben erhalten. Gewiß nach seiner Liebes Absicht, nur zu dem Ende, dich in der Gnadenzeit zur seligen Ewigkeit zuzubereiten. Und diesen Zweck will der treue Erbarmer an dir auch vornemlich in deinem Gefängniß erreichen. Du bist sein Geschöpfe. Er liebet dich. Du bist
5mit Jesu Blut erlöset; er ist ein versöhnter Vater. Du bist auf den Namen des dreyeinigen Gottes getauft. Er will einen ewigen Bund mit dir machen, und nicht ablaßen, dir Gutes zu thun. Kehre dich zu deinem Gott, mein Sohn! er will sein Gnaden-Antlitz zu dir wenden. In dieser Absicht merke auf die Stimme deines Gewissens, und auf die Ueberzeugungen die Gottes Geist in deiner Seele wirket. Laß dir deinen innern Seelenzustand recht gründlich ausdecken, damit du dein tiefes Verderben in Gottes Licht recht einsehen lernest. Wende deine Einsamkeit dazu an, daß du deinen ganzen Lebenslauf vor dem allwißenden Gott untersuchest, und deine Sünden in ihrer Abscheulichkeit und Grösse recht erkennest. Schmeichle dir nicht. Nimm es genau mit dir. Klage dich an, und richte dich selbst vor Gottes Richterstuhl noch in dieser Gnadenzeit. Wenn du deine Sündenbanden, als eine schwere Last fühlest; so wird dein Herz gebeugt vor Gott, und du wirst nach Gnade seufzen, auch alle Uebertretungen ernstlich haßen und verabscheuen. Nun wird dir Christi Verdienst wichtig und nothwendig. Du nimmst deine Zuflucht zu dem, der die
6Sünder annimmt, und für uns zur Sünde gemacht ist, ja alle unsere Sündenschulden bezahlet, und die Strafen für uns ausgestanden hat, damit wir in ihm würden die Gerechtigkeit, die vor Gött gilt, und in ihm erlangten die Erlösung durch sein Blut, nemlich die Vergebung der Sünden, nach dem Reichthum seiner Barmherzigkeit. Noch redet Jesu Blut für dich. Noch recket der Erbarmer seine Liebeshände zu dir ans. Außer Jesu ist kein Heil. Er ist die Ursache unserer Seligkeit. Auch für dich hat er Gaben empfangen. Auch du kanst in ihm bekommen Gerechtigkeit zu deiner Beruhigung, und Starke zu deiner Heiligung. O, daß Jesus in deinem Herzen mögte verkläret werden! bey ihm haben wir es gut, im Leben, Leiden, im Tode, und nach dem Tode.
Die Mama grüßet. Sie weinet und betet mit mir für unsre unglückliche Söhne. Mein Sohn! mein Sohn! wie gar tief beugest du uns. Ach! könnten wir doch nur den einzigen Trost erlangen, daß unsere Söhne von ganzem Herzen sich zu dem Herrn ihren Gott bekehrten, und wir sie vor
7dem Throne des Lammes in der Ewigkeit mit Freuden sehen möchten! Deine Verbrechen, warum du gefangen sitzest, sind uns eigentlich und hinlänglich nicht bekannt. Was im Publico davon geredet und gelesen wird, ist so etwas, daß deine Eltern verfluchen und verabscheuen. Ach wärest du ein Medicus geblieben! deine Erhöhungen, die wir durch die Zeitungen erfaren haben, sind uns nicht erfreulich gewesen; sondern wir haben sie mit Kummer gelesen. Ach daß du bey allen deinen Geschäften, ein lauteres Auge, mit vieler Weisheit, Gottesfurcht und Demuth zum wahren Besten des dänischen Landes bewahret, und den Befehlen deines allerhuldreichsten Souverains mit aller Unterthänigkeit dich unterworfen hättest! Wir können hierüber aus Mangel der Erkänntniß nicht urtheilen; aber wisse: daß so sehr wir unsere Kinder lieben, wir doch ihre Vergehungen nicht billigen, nicht entschuldigen, nicht bemänteln, nicht gut nennen, sondern vielmehr alle Sünden haßen, detestiren, verfluchen, verabscheuen, und Gott preisen, wann er seinen gerechten Zorn über die Gottlosen offenbaret, und seine Barmherzigkeit gegen Bußfertige und Gläubige beweiset.
8Der Herr unser Gott sey in' deiner Gefangenschaft dein treuer Arzt, und heile deinen Seelenschaden gründlich. Wir Eltern empfehlen dich der Vater- und Mutterliebe deines ewigen Erbarmers. Jesus, der mitleidige Hohepriester, gedenke zur Rechten Gottes deiner im Besten, und laße vor seinem Gnadenthron dich Barmherzigkeit erlangen und Gnade finden zu deinem ewigen Heil. Ja, Jesu! du großer Menschenfreund, der du keinen hinaus s?ftest, wer zu dir kömmt, hilf Eltern und Kinder zum ewigen Leben. Ich bin
Rendsburg, den 4 März 1772.
Dein
von Herzen betrübter Vater
A. Struensee.