Steffens, Henrik BREV TIL: Mynster, Jakob Peter FRA: Steffens, Henrik (1832-05-04)

Fra Steffens.
Berlin d. 4. Mai 1832.

Wie war das nur möglich, dat du meine Opposition gegen die Aufgebung einer 300 jährigen, gese$$*lich begründeten, formel fixirten religiösen Differenz, die auch als innere Überzeugung den religiösen Mittelpunkt vieler Menschen bildet, die in unserm eigenen gemeinschaftlichen Vaterlande allein herrschend die Staatsreligion ausmacht, ja so entschieden, dat die Grundlage des ganzen factisch begründeten Staatsgebäudes in Frage gestellt werden kann, wenn sie erschüttert wird — mit der Verirrung verwechseln könntest, die innerhalb dieser begründeten, gesonderten Eigenthümlichkeit einen sondernden Reinigungsprocet sucht, durch Trennung der sogenannten reinern Christen von denen, die innerlich abgefallen sind? — Ich habe mit Grundtvigin dieser Rücksicht nichts zu theilen — unsere Aufgaben waren völlig verschieden. Dat wir eine Minorität bildeten — was nur darin zu suchen ist, dat der Begriff der Kirche (durch den Egoismus subjectiver religiöser Gefühle, der für sich, in der Grundlosigkeit einer völlig unbestimmten Sentimentalität, die ganze Fülle der Seeligkeit sucht und zu finden vermeint) zu Grunde gegangen ist — ändert in der Sache nichts.

Ich frage dich: hatte Scheibel das Recht zu lehren, dat die reformirte Ansicht des Abendmahls eine falsche, die lutherische die wahre sey? Wenn er, wie unzweifelbar, das Recht hat so zu lehren und es, durch die Gese$$*e geschü$$*t, zwanzig Jahre hindurch mit so entschiedenem Erfolg that, dat 300 Familien (über 3000 Seelen) in dieser Zeit durch die Bestimmtheit ihres Bekenntnites beruhigt, die Jugend durch den Unterricht und das Beispiel ihrer Eltern in dem bestimmten Glauben befestigt, eine wahrhafte, von Innen heraus vereinigte, durch den westphälischen Frieden, durch jeglichen spätern Vertrag, durch die Landesgese$$*e geschü$$*te Gemeinde bildeten — dürfte, s. 167ohne wahre Thranneh der empörendsten Art, irgend ein Staat fordern, dat dieser Lehrer, dat diese so sich geskaltende Gemeinde, die keine andere in ihre Weise angriff, das Gut, welches ihnen ein heiliges geworden war, aufgeben? was ihnen ein Irrthum war, als ein ihrem Heiligsten Gleichgese$$*tes betrachtet sehen sollte? — Die einfache Rechtsfrage ist hier die angemetenste, denn sie schliett auch Höheres in sich, und macht jede weitere Discution überflütig.

Die innere höhere Frage ist die: ob eine solche Differenz, nachdem sie geschichtlich begründet war, aufhören, ob es dem Staate gebührt zu erklären, dat sie nicht mehr da seyn solle? So gestellt ergiebt sich die Antwort von selbst. Der Staat kann erklären, dat sie nicht mehr vorhanden sey — aber dann mut sie auch factisch verschwunden seyn, ehe eine solche Erklärung eine Gültigkeit hat. Wäre man redlich verfahren, enthielte die Geschichte der Union nicht die empörendsten Beispiele von Versuchungen, die nicht verschwundene, sondern schwache Überzeugung wankend zu machen — so würde es sich wohl zeigen, dat die Union zwar ein Factum unserer Tage sey, aber keinesweges ein solches, welches jene Differenz verdrängen durfte — und es erregt Schauder, wenn man sieht, wie viele jener Schwachen, nachdem sie überlistet wurden, je$$*t ihre Schwäche mit den furchtbarsten Gewitensbiten büten müten. So viel ist gewit: wo eine Gemeinde wie unsere hervortrat, mutte sie anerkannt werden, und Gamaliel’sVorschlag und Probe wäre hier die einzige gerechte.

Ich habe nur zu viele Zeit auf die Ergründung des Verhältnites der calvinschen Lehre, wie sie in seinen Institutionen vorkömmt, zur lutherischen verwandt. Das kurze Resultat ist folgendes: Beide erkennen den Heiland als den neuen Adam und zugleich als den Schöpfer, Beide das Abendmahl als das heiligste Mysterium unserer Religion, das die Geskaltung der Kirche bedingt — Die catholische, die von derselben Annahme ausgeht, mutte enden mit Transsubstantiation — irdischem Fleischwerden s. 168—wodurch Hierarchie und äutere Werke ihre Sanction erhielten — Der Anfang der Reflexion, der sinnlichen Erkenntnit drängte sich in die heiligste Lehre hinein — Nur die lutherische Kirche hielt die Ansicht der Immanenz fest — wie in der Abendmahlslehre, somin Allem, und schliett in ihrer Conseqvenz jede sinnliche Reflexion, und mit dieser den flachen Rationalismus aus. Darauf gründet sich die Nothwendigkeit, diese Kirche in ihrer reinen Eigenthümlichkeit geschichtlich festzuhalten. — Aber diese Nothwendigkeit schliett die innern Kämpfe, die vielmehr redlich durchgekämpft werden müten, keinesweges aus — Sie zeigen sich in einem Jeden, und wo das Nachdenken über Religion anfängt, schwankt noch ein jedes Gemüth zwischen Catholicismus, der in fleischlicher Erscheinung endigt, und Calvinismus, der mit sinnlicher Reflexion anfängt — wie zwischen einer Vergangenheit, die nicht verschwunden, und einer Zukunft, die sich nicht abweisen lätt. Wenn nun Jemand hervor tritt, behauptend: er und einige mit ihm Verbündeten wären aus diesem Kamps absolut siegreich herausgetreten, und hätten das Recht sich von den Kämpfenden, die sich billig jedem Angriffe stellen müten, zu sondern, so hat die in Furcht und Zittern kämpfende Kirche das Recht sie abzuweisen.

Ich habe unter mancherley Zerstreuung diese aphoristischen Sä$$*e hingeworfen, fürchtend, dat auch sie neue Misverständnite erzeugen werden. — Je$$*t etwas über meine hiesige Stellung. Die ruhige Art, auf welche ich die ganze Sache nahm — das gänzliche Verschmähen aller unedlen oder gese$$*widrigen Waffen — imponirte die Behörden. Ich erhielt auf mein zweimahliges Gesuch um Abschied keine Antwort. Der Kronprinz, der mich seit mehreren Jahren persönlich lieb hat, kam nach Breslau — er hielt sich in der Nähe auf einer Reise auf. — Während die provinciellen Behörden mich, wie einen Verpesteten, flohen, zeichnete er mich auffallend und öffentlich aus. Ich ward nach Fürstenstein, wo er sich aufhielt, eingeladen, und s. 169hier, wo die Sache ausführlich besprochen wurde, ward es ausgemacht, dat ich Breslau verlaten und in Bonn oder Berlin angestellt werden sollte. Dennoch erklärte ich, dat ich Lutheraner sey, zwar mich recht sehr erbauen würde in Berlin, aber kein Mitglied einer dortigen Gemeinde seyn könnte — vielmehr mich an die nächste selbstständige lutherische Kirche zu halten entschloten wäre. — Gegen die Agende opponirte ich nur, weil die Gemeinde sie nicht annehmen wollte. — *)

Wie es mir nun hier gehen wird, weit ich noch nicht. Ich werde eine heftige Opposition finden. Theologen und empirische Naturforscher — Hegelianer — und, wie ich befürchte, auch die Frommen werden sich gegen mich verbinden. Meine erste Vorlesung auf dieser Universität wird über die Religionsphilosophie seyn. — Mein fixirter Gehalt ist eher schlechter, als beter, als in Breslau, und Berlin ist bedeutend theurer. — — In der Vorausse$$*ung, dat ich, tro$$* aller scheinbaren Differenz, doch noch Freunde in Dänemark habe, und dat vor Allem du — mein ältester Freund — mich nie verkennen wirst, schreibe ich dir, sobald ich meine Lage und den Erfolg meiner Vorlesungen einigermaten übersehen kann, wieder.

s. 170Die kurze Summe meines Bekenntnites ist folgende: Ich nehme nie eine äutere Gewalt in Anspruch für die Kirche, aber ich dulde auch keine gegen sie.

Behalte mich lieb, lieber Mynster! wie ich, so lange ich lebe, dein treuester Freund bleiben werde. Und grüte die Freunde, vor Allen Sibbern. Sag Ørsted, dat nun bald das zweite Heft meiner „polemischen Blätter“ erscheinen wird, und in diesem eine Überse$$*ung seines Aufsa$$*es. Ich werde hier keine Ansangsgründe, weder der Mineralogie noch der Physik, lesen. Neben der Religionsphilosophie lese ich diesen Sommer physische Geographie — im Winter Naturphilosophie und Anthropologie — in der Zukunft Naturgeschichte der Erde und Physiologie — wenn es nur gelingt Zuhörer zu erhalten — was ich noch nicht weit.

Dein
Steffens.