Der Morgen
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Von meinem Auge schmilzt des Schlafes Duft,
Der Fittig der Begeistrung nimmt mich auf,
Schon wehn zurück im Adlerfluge mit
Die goldnen Locken, und mein Blick begrüßt
Des Schöpfers Bild in seiner Wiederkehr.
In hoher Röthe steiget es herauf
Aus Wolken, die gleich Morgenträumen fliehn,
Und sieh! da strahlt es - sanfterröthend weicht
Der Mond zurück, der Sterne Blick erlischt,
Die Nacht löscht ihre Lampen aus, und rollt
Im Niedergang zusammen ihr Gezelt.
Wie aus des Nichtseyns Schlund der Erdenball
Dem Ruf des Schöpfers einst entgegensprang,
Vom Lichte angeflammet, staunend stand,
Und dann, am Bande des Erschaffenden,
Voll Dranges, sich zu stürzen in die Glut,
Den Herd des neugebornen Lichts umlief,
So springet er, von neuem angestrahlt,
Am Rand des Nichtseyns, wiederwerdend, auf
Und feiert dann der ersten Schöpfung Fest
An des Erwachens vollem Lebenskelch.
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Wie trüber Odem von des Spiegels Glanz,
Entweichet von dem See der Dämmrung Duft.
Die Winde wachen in den Wolken auf
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Und wiegen auf des Waldes Wipfeln sich.
Hoch stehn die Felsen, ihre Scheiteln glühn
Altären gleich. Es schwillt von neuer Kraft
Der Wolken Säugling; silberschäumend stürzt
Er über Klippen sich ins Thal hinab.
Und fleußt, verherrlichet vom Sonnenbild,
Durch des Getraides goldne Wallungen.
Sieh, alles regt und rührt sich hoch und tief.
Der Adler treibt Gewölke vor sich her
Mit sturmbeladner Schwinge; schwebend netzt
Im Silbertropfen, den der Blume Mund
Begierig auffing, ihrer Flügel Paar
Die Honigsammlerinn, indeß der Wurm,
Den Sonnenstäubchen messen, staunend weilt
Am Rand des Tropfens, seines Oceans.
Sieh, in der Höhe, in der Tiefe regt
Das Leben in Gestalten ohne Zahl
Und ohne Nahmen sich, und sieh, da tritt
Der Erde Bräutigam, der edle Mensch,
Noch ringend mit dem jüngsten Traum, hervor.
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Der Traum entweichet auf des Schlafes Spur
Ins Wunderland der Phantasie zurück.
Von neuem schließt die weite Wirklichkeit
Sich dem Verjüngten auf; drei Genien
Empfangen winkend an der Schwelle ihn.
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Auf Goldgewölken, in gehobner Hand
Das Zauberglas, das die Vergessenheit
Mit ihrem Rabenfittig nicht verhüllt,
Wo, gleich der Sonne Wiederschein im Mond,
Der fernen Zukunft die Vergangenheit
Von neuem aufersteht, entschwebt der Ruhm
Dem Sternenkreis; hält hin des Spiegels Glanz,
Vorüber fleußt im Wogendrang' die Zeit,
Vom Flügel der Vergessenheit gescheucht;
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Vorüber auf den Wogen fleußt die Schaar
Der Thaten; wen'ge gehn im Spiegel auf,
Bevor sie mit den Wogen untergehn.
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Geboren an des grauen Ganges Strand,
Verkläret an Phialas1) Schilfgeräusch,
Vom Capitole dann, den öden Schutt
Des Pantheons zum Throne, das Geschoß
Kronions flammend in gehobner Hand,
Die Welt beherrschend - eine Mißgeburt
Mit dreien Köpfen nun, die grinzend sich
Zu blut'gem Kampf und Sieg einst angeblekt,
Des Denkens Flüchtling und der Deutung Spiel,
Der Tollheit Spott, der Weisheit schweigen - winkt
Zum steilen Gange die Religion.
Mit Opferfackeln leuchtet sie voran,
Und stille harrend folgt die Menschheit nach.
So lenken vom Olymp am Strahlenseil
Die Zwillingsbrüder den Piloten, dem
Kein winkender Magnet den Pol verräth,
Kein grauer Meerbefahrer Kunde gab
Vom fernen Tode, der im Strudelkreis
Und an verborgnen Klippen tückisch lauscht.
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In rosenfarbigem Gewand, und schön
Wie Cypria im Schnee des Marmelsteins,
Der in des Abends Schein erröthete,
Den heitern Sterblichen am Hellespont
Sich zur Verehrung offenbarte, sinkt
Die Freude nieder, beut den süßen Trank
Holdselig im gefüllten Becher dar.
Die Myrte kränzt, die Traube tränket ihn,
Des Himmels Nektar träuft die Kunst hinein,
Und ihre volle Brust die Sympathie.
Im Hefen gährt der Seuche nagend Gift,
Des Ekels Galle. Faß den Zaubertrank,
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Der voll, wie aus der Felsenkluft ein Quell
Dem Lechzenden entgegensprudelt, faß
O Jugend, in der Weisheit Maaß ihn auf!
Es ist kein leeres Sieb, an dessen Rand
Des Durstes Glut die offnen Lippen dörrt:
Des Bonzen Lehre ist ein Hirtenstab,
Der die verrathne Herde aus der Welt
Ins leere Chaos auf die Weide führt.
Der Saniassi
2) an des Ganges Strand,
Im stolzen Wahn, ein Gott zu werden, wird
Ein Misgeschöpf; des Schöpfers Ebenbild
Erlischt auf seinem Antlitz, und es lös't
Sein Ring sich von der Wesenkette ab.
Der Weisheit Maaß ist eine Mutterbrust;
Nur einen Tropfen aus dem Wonnequell,
Der aus der schönen Welt zum Schöpfer steigt,
Und wieder niederströmet, faßt es auf.
Der Wonnequell heißt Gottheit, Tugend heißt
Der Wonnetropfen in der Weisheit Maaß.
Auf Erden fand es Phänaretens Sohn,3)
Im Freudenkelche selber fand er es. -
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So wallen auf der Sonne goldner Spur
Die Himmlischen zum Erdenkreis herab.
Es drehn um sie im Strudel des Gedrängs
Die Menschen wieder sich herum, bis bald
Der holde Schlaf die Sinnenwelt verschließt,
Und aus dem Feenland die Träume lockt.