Der Zweifler
am
Grabe seinesVaters
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Tiefe Stille hütet diesen Hügel,
Rings um in der Espen bangem Laub'
Horcht der Wind und ehrt des Todten Staub;
Nur die Andacht hebt die Flammenflügel;
Und aus des Vergangnen Dämmerung
Kommt mit Thränen die Erinnerung.
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Edler, dessen Hülle hier vermodert,
Dessen hohes Haupt mit Sternenlicht,
Herrlicher dein Genius umflicht;
Dem im Mittagslicht die Wahrheit lodert,
Und der Erdball in der Welten Raum,
Ferne schwebt, wie ein verscheuchter Traum! -
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Horche hin ins düstre Erdenleben,
Wo der Wahrheit stilles Erstlingslicht
Dämmernd durch des Staubs Gewölke bricht,
Zweifel ihren Orient umschweben,
Der Verklärung Morgenroth erbleicht,
Und des Irrthums gift'ger Nebel steigt! -
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Horche her aus deinem Himmelsleben
Meinem bangen Ruf an dieser Gruft!
Hülle deinen Glanz in Erdenduft,
Mich mit hoher Ahndung zu umschweben,
Von den Freuden der Unsterblichkeit,
Und des Wiedersehens naher Zeit!
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Oder sink, Erscheinung, von den Sphären
Mit der stillen Mitternacht herab!
Leuchte hin auf dieses düstre Grab,
Träufelnd von des Angedenkens Zähren!
Strahle Hell, der Auferstehung Bild,
Auf der Gruft von deinem Staub erfüllt!
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Weile nicht! Gib Zeugniß von der Stunde,
Die den Vorhang jener Welt zerriß!
Denn des Zweifels wilder Natterbiß
Rastet nur in der betäubten Wunde.
Heilige den göttersel'gen Wahn,
Kündige mir einen Himmel an!
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Daß von ihres Thrones letzter Stufe,
Wo erwartend die Gebete stehn,
Die Erhörung mütterlich mein Flehn
Auf an ihren vollen Busen rufe! -
Sieh,Verherrlichter, wie, unerhört,
Als Verzweiflung es zurückekehrt!
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Als die Mitternacht, von Graun verkündet,
Schweigend, schwarz verhüllt vorüberschlich,
Als der Schlaf zum Glücklichern entwich,
Der des Zweifels Schlingen sich entwindet,
Als des Grüblers Schwindel mich ergriff,
Wie der Strudel das verschlagne Schiff,
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Hüllte jüngst mit ihrem Nebelschleier
Zweifelsucht der Hoffnung Morgenschein
Und der Weisheit stille Lampe ein.
Mystisch wies sie hin auf meine Leier,
Sprach bedeutungsvoll: »Der Ton verklingt
Ach! auf ewig, wann die Saite springt.«
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Da erhub ich mich in wildem Grimme,
Riß im Grimm den goldnen Faden ab,
Der die letzten Silbertöne gab;
Warf mich nieder, rief mit lauter Stimme:
»Vater, auf und spreng' des Todes Band!
Kehre wieder in des Lebens Land!
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Ich beschwöre dich bei jener Stunde,
Da dein Auge sich im Tode schloß,
Und vom Auge mir Verzweiflung floß,
Bei der aufgerißnen Trennungswunde,
Kehre wieder aus des Todes Land!
Sey der ew'gen Dauer Unterpfand!
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Steig in Herrlichkeit zur Erde nieder,
Tilge der Vernichtung Nachgestalt,
Die mit Graun und Schrecken mich umwallt!
Bringe mir die schöne Hoffnung wieder,
Die an deinem Sarg von hinnen flog,
Und um einen Himmel mich betrog!«
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Also rief ich aus - und ohne Schimmer,
Ohne Laut lag rings umher die Nacht,
Nur verrathen von der Flamm' am Tacht,
Von des Heimchens ängstlichem Gewimmer,
Und der Eule graunbeladnem Flug'
Um den naß geweinten Aschenkrug.
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Wehe, wehe mir! die Zweifel winken -
Schnaubend und mit fliegendem Gewand,
Ihrer Locken Nacht in blut'ger Hand,
In gehobener des Dolches Blinken,
Hochgebäumt im wilden Tigersprung
Ha! - ergriff mich die Verzweifelung.
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Bleiche Schrecken hüteten die Thäler
Der Verwesung; doch mit Flammenblick
Scheuchte die Verzweiflung sie zurück,
Riß mich über moosbewachsne Mäler,
Warf mich hin an einen Leichenstein
Unter morsches, bleichendes Gebein.
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»Höret meinen Ruf, entblößte Seelen!
Ringt mit der Verwesung Allgewalt!
Sammelt die vermoderte Gestalt!
Kommt herauf aus der Gerippe Hölen,
Edle, Frevler, Mörder, kommt heraus!
Ich verhöhne der Gespenster Graus!«
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Alles schwieg umher in todter Stille;
Ich erhub mich, lief umher und stand
Weh! an eines offnen Grabes Rand;
Nieder wich der Grund, und: »Rolle, fülle,
Aufgeworfne Erde, roll' herab,
Rief ich aus, und fülle dieses Grab!«
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Alles schwieg umher in todter Stille;
Mit Verzweiflung rang ich in der Gruft,
Unter Todtenstaub und Leichenduft.
»Laß, Verwesung, der Gebeine Hülle,
Der Gerippe abgenagtes Mahl,
Rette mich von der Verzweiflung Qual!«
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Aber ach, vom Gräuelmahle wandte
Sich des Ungeheuers Gier nicht ab
Zu dem offnen, leichenleeren Grab;
Laurend auf die Sterbestunde, sandte
Es Betäubung, seine Schwester, nur,
Zu verfolgen der Verzweiflung Spur.
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Blind und taub, in schleppendem Gewande,
Ohne Athem, mit dem Lethetrank
Kam sie langsam näher und umschlang
Die Verzweifelung mit schwerem Bande.
Also lag ich todt bis Grabgesang
Mich ins Leben rief und Schaufelklang. -
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Die Gestalt der Folgezeit verkläret
Sich an diesem Grabe; still und hehr
Liegt im Mondenlicht die Welt umher;
Was des Schicksals Wage nicht gewähret,
Führt der Schlaf mit seinem Zauberstab
Jetzt vom Land der Phantasie herab.
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Höre mich, Verklärter! - wenn dein Leben
Nicht erlosch in dieser öden Gruft,
O so komm, verhüllt in leisen Duft,
Mich mit Vorgefühlen zu umschweben
Von den Freuden der Unsterblichkeit
Und des Wiedersehens naher Zeit!
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Oder sink, Erscheinung, von den Sphären
Mit der stillen Mitternacht herab!
Leuchte hin auf dieses düstre Grab,
Träufelnd von des Angedenkens Zähren!
Strahle hell, der Auferstehung Bild,
Auf der Gruft, von deinem Staub erfüllt!
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Weile nicht! Gib Zeugniß von der Stunde,
Die den Vorhang jener Welt zerriß!
Denn des Zweifels wilder Natternbiß
Rastet nur in der betäubten Wunde.
Heilige den göttersel'gen Wahn!
Kündige mir einen Himmel an!